15. März 2023

Zuwanderung trifft auf angespannte Wohnungsmärkte

Im vergangenen Jahr sind über eine Million Ukrainer:innen nach Deutschland gekommen. Die in Deutschland lebende Bevölkerung ist dadurch sprunghaft gestiegen. Während sich die Menschen aus der Ukraine zu Beginn verstärkt in Städten wie Berlin und in den ostdeutschen Bundesländern niederließen, hat sich die Verteilung mittlerweile der Verteilung der Bevölkerung in Deutschland angeglichen. Auf den Wohnungsmarkt kommen große Herausforderungen zu. Der Bedarf nach neuem Wohnraum in Deutschland steigt kurzfristig stark an.

2022 hat es eine der größten Nettozuwanderungen nach Deutschland seit der Wiedervereinigung gegeben. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamts kamen in diesem Zeitraum im Saldo rund 1,05 Millionen Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit nach Deutschland. Zum Vergleich: Im zweiten Halbjahr 2015, als die große Flüchtlingsbewegung aus Syrien einsetzte, lag die Nettozuwanderung mit 756.000 Menschen deutlich niedriger als 2022.

Ukraine-Krieg Auslöser für starke Zuwanderung

Der Auslöser für die neue starke Zuwanderung ist vor allem der Krieg in der Ukraine. Während Ende 2021 noch rund 155.000 Ukrainer:innen in Deutschland registriert waren, lebten im September 2022 laut Ausländerzentralregister bereits rund 1,1 Millionen Menschen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit in Deutschland. Am höchsten war die Zuzugsrate im März, April und Mai mit bis zu 375.000 Personen pro Monat. Der Effekt: Die in Deutschland lebende Bevölkerung ist sehr kurzfristig sprunghaft angestiegen. Auch wenn sich die Zuwanderung zuletzt wieder etwas abgeschwächt hat, geht empirica regio derzeit davon aus, dass der Höhepunkt erst Ende 2023 erreicht sein wird.

Eine der großen Fragen dabei: Wer ist gekommen? Was wir wissen, ist, dass insbesondere der Anteil minderjähriger Personen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit seit Beginn des Kriegs deutlich gestiegen ist. Während die unter 15-Jährigen im Februar 2022 nur acht Prozent der Ukrainer:innen in Deutschland ausmachten, waren es im September bereits rund 27 Prozent. Ein Großteil der Zugewanderten weist laut einer gemeinsamen Studie des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sowie des sozio-ökonomische Panel (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin zudem ein hohes Bildungsniveau auf. 72 Prozent verfügen über einen Hochschulabschluss oder vergleichbare Abschlüsse. Knapp ein Fünftel der in der Studie Befragten ist bereits berufstätig.

Nicht nur Städte profitieren von den Geflüchteten

Eine weitere wichtige Frage: Wo haben sich die Geflüchteten niedergelassen? Klar ist unserer Analyse nach, dass nicht nur die Städte vom Zuzug profitieren. Während sich die Menschen aus der Ukraine zu Beginn verstärkt in Städten wie Berlin und in den ostdeutschen Bundesländern niederließen, hat sich die Verteilung mittlerweile der Verteilung der Bevölkerung in Deutschland angeglichen.

Relativ zur Bevölkerung sind bisher besonders viele ukrainische Staatsbürger:innen in den Städten Baden-Baden, Hof, Schwerin, Gera, Chemnitz, Bremerhaven und Halle (Saale) gemeldet. Dort könnte die Bevölkerungszahl bis Ende 2023 allein durch den Zuzug der Geflüchteten zwischen 3,5 und 4,5 Prozent höher liegen, als dies ohne den Ukraine-Krieg der Fall gewesen wäre. Gerade für strukturschwache Regionen, die seit langem unter Bevölkerungsrückgängen leiden, kann das eine Chance sein.

Deutlich höhere Nachfrage nach Wohnraum

Anhand der geschätzten Anzahl der Ukrainer:innen in Deutschland kann empirica regio auch die Zahl der zusätzlichen, potenziell wohnungsnachfragenden Haushalte abschätzen. Mit dem nun aufgestellten Szenario ergibt sich bis Ende 2023 eine höhere Anzahl von 600.000 zusätzlichen Haushalten in Deutschland. Dadurch wird der Bedarf nach zusätzlichem Wohnraum in Deutschland weiter steigen. Genauso wichtig wie der Wohnungsausbau per se wird auch wichtig sein, dass die Wohnungen an den richtigen Orten entstehen. Die Neubaunachfrage für Geschosswohnungen konzentriert sich vor allem auf die Kernstädte und zum Teil das Umland in stärker wachsenden Regionen. Die Nachfrage nach neuen Ein- und Zweifamilienhäusern besteht auch in der Fläche, aber auch hier gibt es regionale Unterschiede.

Die zukünftige Angebotssituation am Wohnungsmarkt ist mit großen Unsicherheiten behaftet. Zinsanstieg, Materialmangel, Baukostenanstieg und Fachkräftemangel sind nur einige Stichworte, die in diesem Zusammenhang einfallen. Bisher hat der Wohnungsmarkt die Ukrainer:Innen erstaunlich unaufgeregt integriert. Bis Mitte des Jahrzehnts ist jedoch auf Grund der demografischen Entwicklung in Deutschland eine weiterhin hohe Nachfrage nach neuen Wohnungen zu erwarten. Erst danach ist mit einem Rückgang zu rechnen. Gleichzeitig wird sich in den nächsten ein bis zwei Jahren eine „Neubaulücke“ auftun, auch wenn sich diese noch nicht in den aktuellen Baufertigstellzungszahlen niederschlägt, wie Harald Simons im aktuellen Frühjahrsgutachten  (siehe Kapitel 5 zum Wohnungsmarkt) feststellt.

Schließlich eine der wichtigsten Fragen: Wie viele Ukrainer:innen werden zukünftig nach Deutschland kommen? Unser Modell geht im Maximum im Dezember 2023 von 1,7 Millionen ukrainischen Staatsangehörigen in Deutschland aus – im Jahr 2030 von noch rund 1,2 Millionen. Allerdings hängen die Wanderungsbewegungen davon ab, wie sich der Krieg und die Lage in der Ukraine entwickeln. Ob die Menschen bleiben, weiterziehen oder nach dem Krieg in ihr Heimatland zurückkehren werden, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorhersehbar. empirica regio wird darum die Prognosen aktualisieren, wenn sich von den bisherigen Szenarien abweichende Trendwenden abzeichnen.

Datengrundlagen

Detaillierte Ergebnisse und weitere Information zur Methodik finden Sie in zwei aktuellen Publikationen zu den Prognosen, die zum Download auf der Webseite der empirica ag zur Verfügung stehen:

Jan Grade (2023): empirica Bevölkerungsprognose 2023. Regionalisierte Prognose in drei Varianten bis 2035 und Zusatzprognose der Geflüchteten aus der Ukraine.
Download (extern): empirica-Paper Nr. 270. 

Dr. Reiner Brau, Jan Grade (2023): Wohnungsmarktprognose 2023. Regionalisierte Prognose in drei Varianten mit Ausblick bis 2035.
Download (extern): empirica-Paper Nr. 271 

Die empirica Regionaldatenbank wird laufend aktualisiert und bietet eine breite, verlässliche Datenbasis für unterschiedliche Fragestellungen. Methodische Änderungen bei den Datengrundlagen werden homogenisiert, alle Daten sind im Zeitverlauf und regional vergleichbar. Alle empirica Prognosen können über das empirica regio Marktstudio  vollumfänglich für alle Regionen abgerufen werden. In den empirica Wohnungsmarktreports  werden die Prognosen ebenfalls dargestellt.

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